Der Einzelne und Kafka selbst werden zu Gefangenen dieser Umstände. Sie brechen aus ihnen nicht aus, weil sie auch außerhalb des eigenen Gefängnisses nicht mehr sicher sind oder sich sicher fühlen. Stattdessen beschreibt Kafka in einer seiner bekanntesten Erzählung „Die Verwandlung“, wie sich der Handelsreisende Gregor Samsa – engagiert gespielt von Stefan Wolf – im Gefängnis seines Ich zu einem sich am Boden windenden nutzlosen wie freudlosen Käfer verwandelt. Kafkas „Verwandlung“ nutzen Yehuda und Ursula Almagor um ihre groteske wie bedrückende „Kafkamaschine“ zu konstruieren und auf die Bühne der Arnsberger Kulturschmiede zu bringen. Sie lassen die Kafkamaschine auf einem roten Catwalk hin und her laufen, nutzen den Wechsel von Sprache, Gesang, Klarinette, Tanz und Lichteffekten. Sie erzeugen so Tempo, das das Passive, das Beklemmende, Düstere, eben das Kafkaeske zum einen verstärkt, zum anderen den Verwandlungsprozess darstellt, der ja Aktion ist und mit einer Aktion beginnt und doch nicht frei ist und befreiend. Der ausgenutzte, ja übernutzte Mensch Gregor Samsa, ein Arbeitstier mit Aktentasche, verweigert über Nacht die Arbeit und mutiert zum nutzlosen gepanzerten Käfer.
Bewusster Wechsel der Ausdrucksformen
Der Käfer – ekelhaft, farblos und gewunden, lebendig, schnell und tot zugleich – herausragend getanzt von Manuel Quero – ist dann doch nicht die freie Wahl des Gregor Samsa und damit Kafkas selbst. Das machen Almagors durch ihre Konstruktion der „Kafkamaschine“, durch den bewussten Wechsel der Ausdrucksformen deutlich. Es ist die Literatur, das Theater, die Musik, der Tanz, das Licht, es ist das aufspielende Leben der jiddischen Theaterkompanien in Kafkas Prag, die lebendig machen. Es sind kulturelle Selbstbestimmung und Selbstgestaltung des Menschen, die der materiellen Vereinnahmung des Menschen durch Geld und Macht Grenzen setzen. Es ist der Selbstwert des Menschen, der zählt, nicht sein Nutzwert.
Was ist anders heute? Läuft die Kafkamaschine nicht weiter – heute getarnt und gepanzert durch scheinbar unendlichen Konsum, Konsummöglichkeiten und vermeintlicher Konsumfreiheit sowie längst ergänzt durch die Überwachung des Menschen durch Internetkonzerne?
Das begeisterte Premierenpublikum in der Arnsberger Kulturschmiede dankte mit viel und langem Applaus für einen großartigen Theaterabend. Die „Kafkamaschine“ läuft jedenfalls weiter in der Kulturschmiede und zwar bis einschl. zum 1.Oktober 2014 jeweils täglich um 20 Uhr. Es lohnt sich.